Kant an der Universität

Kant und die Schul- und Universitätsreform

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Kant und die Schul- und Universitätsreformen im 18. Jahrhundert

Sandra Eleonore Johst

Die Epoche, in der Immanuel Kant lebte und wirkte, kennen wir nicht nur als Zeitalter der Aufklärung, sondern auch als Pädagogisches Jahrhundert. Im Preußen des 18. Jahrhunderts wurden entscheidende Änderungen für die Bildung, ihre Institutionen und deren Reglementierung, konzipiert und erprobt, die unser heutiges Schul- und Bildungssystem noch immer prägen. Viele Stellen der philosophischen Schriften Kants unterstreichen, dass die Bildung des Menschen und insbesondere ihre Fortsetzung in Form von Wissenschaften eine ganz zentrale Rolle für das einnehmen, was wir heute gesellschaftlichen und politischen Fortschritt nennen würden. Eine damals verbreitete Ansicht, die er mit dem Großteil seiner aufklärerisch-optimistischen Zeitgenossen teilte. Einige Briefe und historische Dokumente im Zusammenhang mit seinen Amtstätigkeiten an der Albertus-Universität in Königsberg zeigen darüber hinaus, dass ihm zumindest in einem gewissen Sinne auch bildungspolitische Aufgaben zukamen. Um Kants Beiträge zu und seine Rolle in den damaligen Änderungsprozessen nachvollziehbar zu machen, werden im Folgenden zentrale Aspekte der preußischen Bildungspolitik und ihre Berührungspunkte zu Kant skizziert.

Der preußische König Friedrich Wilhelm I. hatte bereits vor Kants Geburt im Jahr 1717 die allgemeine Schulpflicht für seine Länder angeordnet. Sie sollte für Jungen und Mädchen im Alter von fünf bis zwölf Jahren gelten. Zurecht wird dieses Edikt als Meilenstein unserer Bildungsgeschichte bewertet, jedoch dauerte es lange bis diese Anordnung auch Realität wurde. Denn weder gab es eine einheitliche Infrastruktur an Bildungsangeboten, noch war das Lehrerdasein ein eigener Beruf mit spezifischer Ausbildung. Welche Bildungsmöglichkeiten Eltern für ihre Kinder vorfanden und nutzten, war stark von sich regional unterscheidenden Faktoren und Strukturen geprägt. Zwar gab es bereits Land- und Stadtschulen und für Kinder aus höheren Schichten stellte man sogar häufig einen Hauslehrer ein, aber dennoch blieb es während des 18. Jahrhunderts üblich, Kinder einfach weiterhin in die wirtschaftlichen Verhältnisse der Familie einzubinden. Sie arbeiteten mit, ob auf dem bäuerlichen Hof oder in dem städtischen Handwerkerhaushalt. Der allmähliche Gestaltwechsel von der Familie als ganzes Haus zur bürgerlichen Familie lässt sich ebenfalls genau in dieser Zeitspanne beobachten.

Für Kant, der 1724 in eine Handwerkerfamilie in Königsberg geboren wurde, war die erste schulische Station die sogenannte Hospitalschule. Dort gab es nur einen Lehrer, der typisch für diese Zeit ein nicht ordinierter Prediger war. Neben dem Elementarunterricht für die Kinder zählte auch die Betreuung von Häftlingen zu seinen Aufgaben. Zusammen mit den anderen Kindern aus der Nachbarschaft lernte Kant hier die Grundlagen des Lesens, Schreibens und Rechnens, bevor er dann im Alter von acht Jahren auf das Collegium Fridericianum wechselte. Diese pietistische Schule sollte auf ein Studium vorbereiten und dass Kant als Handwerkersohn sie besuchte, verdankte sich der Feststellung seiner Auffassungsgabe als besonderes Talent. Der Fürsprecher und Initiator für diesen Weg zum Studium war in Kants Fall der Theologe Franz Albert Schultz. Auch wenn Kant sich als Erwachsener nicht positiv über seine Schulerfahrungen äußerte, lässt sich sein Besuch dieser Schule in bildungsgeschichtlicher Perspektive durchaus als fortschrittlich bezeichnen. Indem der Pietismus sein Augenmerk auf das Innerliche und den praktischen Gemeinnutzen richtete, war er nicht nur eine religiöse Reformbewegung, sondern brachte Impulse für eine pädagogische Neuorientierung. Im Fridericianum gab es nach Bildungszielen unterschiedene Klassen, die Lehrer wurden fachlich spezialisiert, es gab neue Unterrichtsfächer wie Geographie und Geschichte und es wurde versucht, einen breiten Volksunterricht zu organisieren. Gerade weil es noch keine einheitlichen Bildungsstandards gab, vollzogen sich die reformerischen Anstöße oft an Modellen, die dann ihrerseits wieder als Vorbilder zur Nachahmung dienten. So orientierte sich das Collegium Fridericianum beispielsweise an dem Franckeschen Waisenhaus in Halle.

Ein weiteres Beispiel der sich typischerweise an Modellen vollziehenden pädagogischen Reformbewegungen gibt das Philanthropin in Dessau, das 1774 von Johann Bernhard Basedow gegründet wurde. Kant war zu dieser Zeit bereits ordentlicher Professor für Logik und Metaphysik an der Albertus-Universität. Durch seinen Alltag als Hochschullehrer war er mit den unterschiedlichen Bildungsniveaus der meist noch sehr jungen Studenten vertraut. Noch gab es keine allgemein gültigen Regeln für die Aufnahme eines Studiums, wie wir sie heute in Form von Zeugnissen kennen. Da die Voraussetzung lediglich im Nachweis eines gewissen Talents, in damaliger Formulierung eines Ingeniums, bestand, brachten die Studierenden ganz unterschiedliche Kenntnisse in die ersten Vorlesungen mit. Insofern ist es wenig überraschend, dass Kant an einer Verbesserung des Schulwesens interessiert war. Von Basedows Idee war er allerdings so begeistert, dass er in den 1770er Jahren zwei Mal durch seine Aufsätze, das Philanthropin betreffend öffentlich zur Unterstützung dieses Projekts durch Spenden aufrief. Kant begründete seinen Einsatz für das Philanthropin mit den Vorteilen, die sich aus der Pflege dieses noch zarten Keims ergeben: denn ‚die Früchte desselben‘ versprechen Gutes für alle Länder und die gesamte Nachkommenschaft.

Auch der preußische König Friedrich II., den man als Repräsentanten des aufgeklärten Absolutismus kennt, erkannte den staatlichen Nutzen einer geregelten Ausbildung seiner Bürger. Die Reformversuche betrafen dabei sowohl die elementare Ausbildung des Volks als auch die Verbesserung der Lehrerausbildung. Als eine wesentliche Grundlage für die Entwicklung des preußischen Volksschulwesens kann das General-Landschul-Reglement gelten, welches Friedrich II. 1763 erließ. Es ist eine weitere reformierende Anordnung von Seiten der Regierung mit dem Ziel, eine allgemeine Schulpflicht auch für Kinder auf dem Lande einzuführen. Sie sollte von dem fünften bis zum 13. Lebensjahr dauern und allen die nötigen Grundlagen des Christentums und des Lesens und Schreibens lernen. Ein Beispiel für die Verbesserung der Lehrerbildung gibt das Regierungsreskript von 1774 an die Universität Königsberg. Die Professoren der philosophischen Fakultät wurden hiermit aufgefordert im Wechsel pädagogische Vorlesungen anzubieten. Als Professor der philosophischen Fakultät hielt Kant deswegen insgesamt vier Mal eine einstündige Pädagogikvorlesung.

Warum die Umsetzung solcher Reformversuche sich nur schleppend in der Praxis abzeichneten, darüber könnte vermutlich am lebhaftesten und eindrücklichsten Karl Abraham Zedlitz Auskunft geben. Seit 1770/71 war er für fast 20 Jahre als Justiz- und Kultusminister zuständig für die Umsetzung von Reformen, die Qualifikation der Schulmeister und die Umgestaltung des höheren Schulwesens. Er setzte sich zum Beispiel dafür ein, dass die Professoren nicht mehr aus ihren eigenen Notizen vorlesen, sondern ihren Vorlesungen Kompendien zugrunde legen sollten. Zedlitz berief auch 1778 Ernst Christian Trapp als ersten Lehrstuhlinhaber für Pädagogik an die Universität in Halle. Die traditionellen Verkrustungen, mit denen er zu kämpfen hatte, erschwerten ihm durchgreifende Erfolge und so konzentrierte auch er sich auf Projekte und Musterbeispiele, um Modellcharakter zu schaffen. Ihm und seinem Interesse an dem Wachstum der Wissenschaften widmete Kant seine Kritik der reinen Vernunft.

Wie dieser kurze Überblick zeigt, lässt sich das strukturelle Problem der damaligen Bildungspolitik in Preußen in dem Fehlen einer gesamtstaatlichen Zuständigkeit für das Schul- und Erziehungswesen verorten. Tatsächlich verteilten sich diese Angelegenheiten auf verschiedenen Kirchen- und Staatsbehörden. Diese Vielgestaltigkeit der Reglementierungsbemühungen durch zahlreiche Edikte und Anweisungen kann erklären, warum es noch bis 1787 dauerte, dass sich mit der Errichtung des Oberschulkollegiums ein erster Ansatz der staatlichen Oberaufsicht über das Schul- und Erziehungswesen durchsetzte. Da Kant im Winter 1787/88 als Dekan dafür zuständig war, die neuankommenden Studenten zu prüfen, kam es zu einer Zusammenarbeit zwischen ihm und der soeben installierten, staatlichen Behörde. Sie bat zu dieser Zeit die drei führenden preußischen Universitäten Halle, Frankfurt an der Oder und Königsberg um Vorschläge, wie man den Fleiß der Studienanfänger fortan steigern könnte. Das Abfassen des entsprechenden Gutachtens fiel in Kants Aufgabenbereich. Sein Vorschlag beinhaltete das Beibehalten der Prüfungspraxis an der Universität und die auf Lehrerkonferenzen basierende Versetzungspraxis an Schulen. Dieser wurde im Anschluss vom Oberschulkollegium diskutiert und zeichnete sich in dem Beschluss ab, Prüfungen sowohl an Schulen als auch an Universitäten einzuführen.

Dass Bildungspolitik für uns heute selbstverständlich all jene Maßnahmen des Staates bezeichnet, die den Ausbau und die Reform des Bildungssystems betreffen, wurzelt demnach in den Reformbemühungen des 18. Jahrhunderts. Hier versuchte die Regierung eine zentral regulierte, staatliche Einflussnahme auf die pädagogischen Institutionen zu etablieren, um eine allgemeine Schulpflicht und eine Professionalisierung des Lehrberufs zu ermöglichen. Wer für was zuständig sein sollte, wie das Lernen und Lehren verbessert werden könnte, wer davon welchen Nutzen haben könnte und sollte – das waren genau die Fragestellungen, denen man sich von verschiedenen Seiten verstärkt widmete. Kant war ein Teil dieser sich langsam vollziehenden Bildungsreformen: Zum einen durch seine Ämter und die mit ihnen verbundenen Aufgaben an der Albertus-Universität, zum anderen als sich öffentlich äußernder Gelehrter, der die Wichtigkeit von Bildung und Wissenschaften wiederholt betonte.