Die Albertina in Königsberg

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Die Geschichte der Albertus-Universität
in Königsberg

Sandra Eleonore Johst

Orte prägen Personen und umgekehrt prägen Personen auch die Orte, an denen sie wirken. Vielleicht wird bei der Vorstellung von Immanuel Kant auch deswegen oft betont, dass er seine Heimatstadt Königsberg nie verlassen habe. Das ist zwar nicht ganz richtig, denn als Hauslehrer war er in verschiedenen Orten tätig, etwa in dem heute polnischen Dorf Jarnoltowo. Aber er hat sich tatsächlich von der ostpreußischen Provinzhauptstadt nur selten entfernt. Die Beschäftigung mit seiner Biographie lässt sogar eine noch präzisere Ortsbestimmung innerhalb Königsbergs zu, denn das Zentrum von Kants Tätigkeiten bildet eindeutig die Albertus-Universität. Per Handschlag wurde er dort 1740 als akademischer Bürger aufgenommen, promovierte 1755 öffentlich zum Magister und lehrte fortan selbst über vierzig Jahre an dieser Universität Philosophie bis zu seiner letzten Vorlesung 1796. Doch wie können wir uns Kants Universität vorstellen?

Sie war auf jeden Fall bereits eine etablierte Institution mit Geschichte und Tradition. Als Kant gerade einmal vier Jahre an der Albertus-Universität studierte, durfte sie bereits ihren 200. Geburtstag feiern. Gegründet wurde sie im Jahr 1544 von Herzog Albrecht von Brandenburg-Ansbach. Nach der Philippina in Marburg war sie die zweite Neugründung einer protestantischen Universität. Insgesamt bildete sie drei Jahrhunderte ein wichtiges geistiges Zentrum Preußens. Das Universitätsgebäude hinter dem Dom im Stadtteil Kneiphof überdauerte vier Jahrhunderte, bis Brandbomben 1944 die gesamte Königsberger Innenstadt zerstörten. Bei dem Versuch sich die Albertus-Universität zu Kants Zeit vorzustellen, ist es wichtig, sich die Unterschiede zu unseren heutigen Hochschulen bewusst zu machen. Entstanden sind die Universitäten als sich weitgehend selbst verwaltende Gemeinschaften von Lehrenden und Lernenden im mittelalterlichen Europa. An dem Zweck, der mit der Gründung der Albertus-Universität in Königsberg verfolgt wurde, lässt sich auch die allgemeine Bedeutung der spätmittelalterlichen Universitäten ablesen: Einen Beitrag zum Besten der Kirche Gottes und des gemeinen Wesens und zur Aufnahme guter Künste und Wissenschaften zu leisten. Der Rang von Kirche und Gott deutet einen ersten Unterschied zu unseren heutigen Universitäten und der mit ihnen verbundenen Wissenschaftsauffassung an. Zwar war die Theologie neben Jura und Medizin nur eine der drei oberen Fakultäten, aber durch die gesellschaftliche, kulturelle und politische Relevanz der Religion kam ihr eine ganz zentrale und bestimmende Rolle zu.

Federführend für die Umwandlung der Universitäten durch das aufklärerische Denken waren vor allem neuere Institutionen mit Modellcharakter. In Brandenburg-Preußen war das insbesondere die 1694 gegründete Universität in Halle. Hier lehrte beispielsweise Christian Thomasius, der sich für eine Reformierung der Universität einsetzte: Weg von der scholastischen Gelehrsamkeit und hin zu einer praxisorientierten Ausbildung mit gesellschaftlichem Nutzen. Dazu bot er seine Vorlesungen ganz fortschrittlich bereits in deutscher Sprache an. In Halle lehrte auch Christian Wolff, der dieselbe Richtung förderte und sich bereits für die besondere Bedeutung einer rationalistischen und logischen Philosophie für die Begründung anderer Disziplinen einsetzte. Philosophie galt damals noch nicht als eigenständiges Studium, sondern als Vorbereitung auf eine der drei sogenannten ‚Brotwissenschaften‘. Diese Rolle wurzelt in dem Lehrprogramm der frühen europäischen Universitäten, das zunächst das Studium der Septem Artes Liberales vorsah, um anschließend Theologie, Jura oder Medizin studieren zu können. In Kants Jahrhundert kam der philosophischen Fakultät noch immer dieser Charakter der Artistenfakultät zu und die Philosophie behielt ihre methodische Bedeutung als Hilfswissenschaft. Die sich nach und nach vollziehende Emanzipation der Wissenschaften von der theologischen Bevormundung und der Wandel der philosophischen Fakultät ist ein Prozess, der sich gerade im 18. Jahrhundert beobachten lässt und zu dem Kant selbst beigetragen hat. In seiner späten Schrift Streit der Fakultäten kritisiert er die zeitgenössische Praxis und lässt keinen Zweifel daran, dass die aus Gelehrtensicht unbegründete Bevorzugung der Theologie dem Fortschreiten der Wissenschaften im Wege stehe.

Der traditionelle Bezug zu den Sieben Freien Künsten kann also erklären, dass es für die Studienanfänger an der Albertus-Universität einerseits eine sehr spärliche Auswahl an Studiengängen gab, denn sie mussten sich für eine der oberen Fakultäten einschreiben. Andererseits stellten ihnen die vorbereitenden Veranstaltungen der philosophischen Fakultät doch ein sehr breites Bildungsangebot zur Verfügung. Denn die Disziplinen, die der philosophischen Fakultät zugeordnet wurden, umfassten ein aus heutiger Sicht ungewöhnlich breites Spektrum. Zu Kants Studienzeit gehörten acht Professoren und mehrere Privatdozenten der philosophischen Fakultät an. Der Besuch ihrer Veranstaltungen ermöglichte den Studierenden ein Erlernen der griechischen und hebräischen Sprache, der Rhetorik, der Dichtkunst und der Geschichte bis hin zur Logik und Metaphysik, praktischer Philosophie, Mathematik und Physik. Gerade in dem Bereich, den wir heute unter Naturwissenschaften zusammenfassen, zeichnete sich im 18. Jahrhundert ein starker Aufschwung ab. Neue Fächer wie Chemie, Elektrizitätslehre und die Lehre vom Lebendigen kamen hinzu, aber auch andere Disziplinen wie Nationalökonomie oder Pädagogik. Der Versuch die Philosophie zu einer eigenständigen Disziplin zu machen und die ihr zugeordneten Disziplinen aufzuwerten, geht einher mit der Betonung von Rationalität und der Zuwendung zur Welt. Das lässt sich auch an Kants Lehrangebot an der Albertus-Universität ablesen. Nachdem er 1770 zum ordentlichen Professor ernannt wurde, bot er ab dem Wintersemester 1772/73 regelmäßig eine Vorlesung in Anthropologie an. Damit wollte er zu der Etablierung dieser neuen Disziplin als Lehre von der Kenntnis des Menschen beitragen, um die konkrete Weltkenntnis seiner Studenten zu befördern.

Die Organisation der Wissenschaften, die Lerninhalte und der Ablauf des Studiums waren also noch weit davon entfernt, so detailliert geregelt zu sein, wie wir es heute durch die fachliche Spezialisierung und die feste Abfolge von Modulen kennen. Zwar war auch damals ein Studium mit Kosten verbunden, aber es gab noch keine Studiengebühren im heutigen Sinne. Allerdings waren nur die öffentlichen Vorlesungen der angestellten Professoren für die Studenten kostenfrei. Für alle sogenannten privaten Vorlesungen, die sowohl von Professoren als auch Privatdozenten angeboten werden konnten, mussten die Hörer ein Honorar pro Semester entrichten. Auch waren die Studenten keineswegs nur in den Räumlichkeiten der Universität unterwegs, um ihre Vorlesungen und Übungen zu besuchen. Dort wurden nur für die öffentlichen Vorlesungen Räume zur Verfügung gestellt, ganz viele Lehrveranstaltungen fanden bei den Lehrern zuhause statt. Falls ihre privaten Räumlichkeiten dazu nicht geeignet waren, mussten sie welche für ihren Unterricht anmieten. Bevor Kant etwa sein eigenes Haus für seine Vorlesungen nutzen konnte, mietete er sich Unterrichtsräume beispielsweise bei Professor Johann David Kypke in der Neustadt oder in Johann Jakob Kanters Buchladen. Komfortabel waren diese Räumlichkeiten aus unserer heutigen Perspektive übrigens nicht. Liest man sich damalige Beschreibungen durch, wird man auf relevante Kriterien der Unterrichtsauswahl aufmerksam, die Studierende heutzutage wohl kaum mehr im Kopf haben, wie etwa ob der Lehrende im Winter über ausreichend Brennholz verfügte.

Unterschiede zwischen Kants Universität und heutigen Hochschulen lassen sich also zahlreich anführen. Aber auch die umgekehrte Perspektive auf Gemeinsamkeiten kann dazu beitragen, sich ein Bild von der Albertus-Universität zu machen. Schon damals gab es eine gewisse Hierarchie zwischen Professoren und Privatdozenten. Letztere bekamen kein festes Gehalt, sondern mussten sich über ihre bezahlten Vorlesungen finanzieren. Diese Angebote durften sich nicht zeitlich mit den Vorlesungen der Professoren überschneiden und wurden auch nicht im offiziellen Lehrkatalog veröffentlicht, sondern nur am Schwarzen Brett als Aushang. Dafür waren Professoren neben der Lehre und den eigenen Publikationen auch mit einem sehr hohen Verwaltungsaufwand betraut, was sich anhand von Kants Amtstätigkeiten als ordentlicher Professor illustrieren lässt. Er übernahm sechsmal die Aufgaben des Dekans der philosophischen Fakultät und war in dieser Zeit zuständig für die Prüfung zur Aufnahme der Studenten sowie für die Teilnahme an den Abschlussfeierlichkeiten und öffentlichen Disputationen. Ab 1780 war er festes Mitglied des Senats, dem damaligen Leitungsorgan der Universität. Hier wurde über die Regeln und Gesetze sowie über Anträge von Studenten auf Stipendien entschieden. Diese Arbeit erforderte die Erstellung zahlreicher Dokumente, wie etwa Listen über abgeschlossene Kurse oder finanzielle Aspekte. Dazu tagte der Senat einmal wöchentlich in der Senatsstube, einem Raum neben dem Universitätsarchiv und gegenüber dem großen Universitätshörsaal. Als Rektor der Universität übernahm Kant zudem zwei Mal eine sehr repräsentative Aufgabe, denn in dieser Position war man zuständig für die Rechtspflege, die Immatrikulation der Studenten und die Einberufungen der Sitzungen des Senats.

Auch wenn die Universität damals lediglich vorsichtige Anfänge machte, sich von einer hierarchisch geordneten Lehr- und Erziehungsanstalt zu einer funktional differenzierten Bildungs- und Forschungseinrichtung zu entwickeln, wie wir sie heute kennen, sorgen vielleicht gerade die alltäglichen Abläufe an der Albertus-Universität für ein gewisses Identifikationspotential: Der Turnus von Lehrveranstaltungen im Rhythmus der Semester, die regelmäßige Teilnahme an Ratssitzungen, die öffentlichen Ehrungen akademischer Leistungen und natürlich ganz zentral, die Gemeinschaft und der Austausch zwischen Lehrenden und Lernenden. Nimmt man Kant als Lehrer für Philosophie an der Albertus-Universität in den Blick, dann finden wir in einer ganz frühen Schrift, die seine Vorlesungen im Wintersemester 1765/66 beschreibt, sogar eine methodische Grundannahme, die wohl nach wie vor einen ganz wichtigen Bildungsauftrag formuliert: Es gehe nicht darum Gedanken, sondern denken zu lernen.