Das Staatsarchiv in Olsztyn
Geschichte des Staatsarchivs in Olsztyn
Raphael Gelo
Das Staatsarchiv in Olsztyn wurde am 15. November 1948 durch einen Erlass des Bildungsministers gegründet und ist seitdem unter diesem Namen tätig, mit einer Unterbrechung zwischen 1952 und 1983, als es als Staatliches Wojewodschaftsarchiv in Olsztyn fungierte. Seine Bestände sollten die Akten der polnischen Behörden und Ämter erster und zweiter Instanz sowie die von Deutschen hinterlassenen Akten aus dem Gebiet der Woiwodschaft Olsztyn umfassen. Mit dem Aufbau des Archivs wurde Dr. Władysław Adamczyk, Absolvent der Katholischen Universität Lublin und Mitarbeiter des Staatsarchivs in Lublin, betraut, der zu diesem Zweck im Sommer 1948 nach Olsztyn kam. Die ersten Räumlichkeiten des Archivs befanden sich im Keller des Olsztyner Schlosses und wurden vom damaligen Direktor des Masuren-Museums, Hieronim Skurpski, zur Verfügung gestellt. Viele Jahre lang war das Fehlen eigener Räumlichkeiten das größte Hindernis für die Arbeit und Entwicklung des Archivs. Die Magazinräume des Archivs befanden sich in allen möglichen Gebäuden, die gerade Platz boten, wie z. B. dem ehemaligen Salzlager im Viertel Podzamcze in Olsztyn und dem 1913 nach Entwürfen von Erich Mendelsohn erbauten Tahara-Haus der jüdischen Gemeinde von Olsztyn. Nach 1990 belegte das Archiv auch einen Teil der Räumlichkeiten des ehemaligen Zentralkomitees der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei (PZPR) in der Głowackiego-Straße. Die Nutzung weiterer Gebäude für die Bedürfnisse des Archivs lösten das Problem nicht, denn bereits in den 1970er Jahren machte der Mangel an Lagermöglichkeiten die weitere Übernahme von Archivgut unmöglich. Eine grundsätzliche Lösung der Raumfrage wurde erst am 5. Januar 1994 gefällt, als die Behörden der Woiwodschaft Olsztyn beschlossen, das Gebäude des ehemaligen Woiwodschaftsbetriebs für Binnenhandel in Olsztyn in der Partyzantów-Straße für die Bedürfnisse des Archivs zur Verfügung zu stellen. Nach Renovierungs- und Anpassungsarbeiten wurden die neuen Räumlichkeiten des Archivs am 4. November 1996 offiziell in Betrieb genommen.
Die Struktur des Archivs wurde mit dem ersten Statut von 1952 festgelegt, das am 1. Januar 1953 in Kraft trat und in dem vier Abteilungen eingerichtet wurden, die sich jeweils mit unterschiedlichen Aktenbeständen befassten: I – Unterlagen von Behörden, Ämtern und Institutionen bis 1945, II – Unterlagen von Behörden, Ämtern und Institutionen nach 1945, III – Institutionen und Wirtschaftsunternehmen nach 1945, IV – Sammlungen und Nachlässe.
Ein Erlass des Generaldirektors der Staatsarchive von 1970 änderte die Organisationsstruktur des Archivs; nun wurden drei Abteilungen gebildet: I – Akten bis 1945, II – Akten ab 1945, III – Akten, Information und Benutzung. Das nächste Statut, das seit 1976 in Kraft ist, ließ die Struktur der Abteilungen I und II unverändert; die Abteilung III umfasste ein Forschungslabor mit einer Bibliothek und einer Mikrofilmsammlung sowie eine Konservierungs- und Reprographiestelle.
Erst im Archivgesetz von 1996 wurde mit der bisherigen Organisationsstruktur gebrochen und stattdessen eine rein aufgabenbezogene Abteilungseinteilung mit folgenden Bereichen eingeführt: Abteilung I – Archivaufsicht; Abteilung II – Bearbeitung der Bestände; Abteilung III – Erschließung, Information und Zugang (einschließlich eines Forschungslabors mit Bibliothek und Filmsammlung sowie einer Rechercheabteilung); Abteilung IV – Lagerung und Erhaltung der Bestände. Die interne Struktur wurde ergänzt durch: ein Labor für Archivalienkonservierung und Reprographie, eine unabhängige Stelle für Informatik und Computerisierung sowie eine Buchhaltungs- und eine Verwaltungs- und Wirtschaftsabteilung.
Im Jahr 2022 erhielt das Archiv erneut eine neue Satzung und ein neues Organisationsreglement, das am 1. Januar 2023 in Kraft trat. Derzeit besteht die Organisationsstruktur aus Abteilung I – Bildung des nationalen Archivguts (einschließlich der Abteilung für nicht-archivische Dokumentation und der Abteilung für nicht-staatliches Archivgut); Abteilung II – Erschließung und Verzeichnung des Archivguts; Abteilung III – Bereitstellung des Archivguts; Abteilung IV – Erhaltung des Archivguts; Abteilung V – Popularisierung des Archivguts. Die interne Struktur wird durch Abteilungen für Verwaltung, Finanzen/Rechnungswesen sowie eine Personalabteilung ergänzt.
Die Filialen des Olsztyner Staatsarchivs wurden in den 1950er Jahren geschaffen, sind aber heute wieder abgeschafft: Mrągowo (1952-2004), Szczytno (1953-1991) und Morąg (1954-1989). Die letzte Außenstelle auf dem Gebiet des Olsztyner Archivs war die Außenstelle in Nidzica, die 1988 gegründet und 2017 aufgelöst wurde
In den ersten drei Nachkriegsjahren wurden Recherchen eingeleitet, um die in den ehemaligen Registraturen der preußischen Ämter, in Kirchengemeinden oder in Bibliotheken und Privatarchiven verbliebenen Unterlagen zu sichern, aber auch um Orte ausfindig zu machen, an denen die während des Krieges aus dem Staatsarchiv in Königsberg evakuierten Archive deponiert worden waren. Angesichts der großen Anzahl von preußischen Beständen, die in Masuren (seit 1946 Woiwodschaft Olsztyn) vermutet wurden, fanden, trotz der unbestreitbaren kriegsbedingten Verluste, gleich mehrfach Nachforschungen statt. Daran beteiligt waren die Leiterin des Masurischen Instituts, Emilia Sukertowa-Biedrawina, und Professor Karol Górski von der Nikolaus-Kopernikus-Universität in Toruń, dem es in den Jahren 1945-1946 gelang, u. a. Gerichtsakten und die Landtagsakten des Herzogtums Preußen zu sichern.
In den Jahren 1947-1948 wurde die neue Woiwodschaft von Dr. Piotr Bańkowski, dem Beauftragten der Abteilung für Staatsarchive des Bildungsministeriums in Warschau, noch einmal gründlich durchsucht. So fanden sich Schulakten des Kreises Olsztyn in Górowo Iławeckie, Landratsakten in Młynary und Miłakowo, Verwaltungsakten in Giżycko und Mikołajki sowie Domänenakten in einem Dutzend weiterer Städte. Ab 1949 wurde die Suche von den Mitarbeitern des Staatsarchivs in Olsztyn fortgesetzt, die auch die Sammlungen von alteingesessenen ostpreußischen Adelsfamilien wie Dohna, Finckenstein, Dönhoff und Lehndorf sicherten, die eine reiche Überlieferung hinterlassen hatten. Auch Überlieferungen der Städte, der evangelischen Kirchen, der Gerichte, der Notare und der wirtschaftlichen Verwaltung der Region wurden weiter gesammelt. Die Bestände des Archivs wurden auch durch die Akten des Kreises Olsztyn bereichert, die 1947 aus Goslar, dem Aufbewahrungsort der aus dem Staatsarchiv in Königsberg deportierten Archivalien, zurückgeholt wurden. 1956 kehrten die Akten der Ständetage der preußischen Staaten aus dem 16. und 17. Jahrhundert aus dem Staatsarchiv in Gdańsk (1949 dorthin verbracht) zurück, 1963 die Akten des Olsztyner Magistrats aus der Deutschen Demokratischen Republik und ein Jahr später, 1964, die Städtebücher des Ermlands (15.-17. Jahrhundert) aus dem Hauptarchiv der alten Akten in Warschau.
Der Charakter des Bestandes wurde durch die Übernahme der Akten der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei nach 1990 stark beeinflusst; auch die mit der erwähnten Auflösung von Außenstellen verbundenen Übergaben von Archivalien spielten eine Rolle. Zum 31. Dezember 2022 belief sich der Bestand des Staatsarchivs in Olsztyn auf 6.642,84 laufende Meter Akten in 3.452 Archivalienbeständen, was 756.095 Verzeichnungseinheiten entspricht.
Zu den wertvollsten Archivalien in den Beständen des Archivs gehören die der Albertus-Universität in Königsberg von 1554-1933, darunter u. a. Archivgut zum wissenschaftlichen Wirken des Philosophen Immanuel Kant, Statuten, Rektorats- und Senatsprotokolle, Universitätsjubiläen, Personalakten der Professoren, Anstellung von Beamten, Organisation und Verwaltung der Universität, Justizwesen, Vorlesungsverzeichnisse, Studentenregister, Immatrikulationen, Beförderungen und das Kuratorium der Albertus-Universität in Königsberg von 1577-1908, über die Angelegenheiten und Tätigkeiten der Universität, den Senat der Universität, den Haushalt und die Finanzangelegenheiten der Universität, Angelegenheiten des Lehrkörpers, Akten über die Witwen der Professoren, die Tätigkeit der chirurgischen und augenärztlichen Klinik, Studienpläne, Vorlesungsverzeichnisse, Prüfungen, Seminare, Vorlesungen. Die Landtagsakten des Herzogtums Preußen von 1541-1808 mit mehr als 50 in Pergament gebundenen Protokollbüchern sind eine sehr wichtige Quelle nicht nur für die Parlamentsrechnungen, sondern auch für die Beilagen zu den Protokollen in Form von Abschriften von Briefen und Dokumenten. Auch die erwähnten Familienarchive der großen und bedeutenden ostpreußischen Familien Dohna, Dönhoff, Finckenstein, Lehndorff, Schwerin und Kunheim. Zu den darin erhaltenen Archivalien gehören Nachlassakten, Wirtschaftsakten, Akten, die sich aus den Patrimonialrechten der Familien ergeben, und manchmal auch Akten, die von Ämtern mit dem Ende der Führungspositionen von Mitgliedern der genannten Familien übernommen wurden, sowie politische und private Korrespondenz, Tagebücher, Reisetagebücher, Romane und Gedichte. Einen sehr hohen Wert hat die Überlieferung des Provinzialkonservators der Denkmäler, der Kunst und der Geschichte der Provinz Ostpreußen von 1650-1944. Das Aktenmaterial besteht aus Inventarisierungsbögen für Denkmäler, Korrespondenz zwischen dem Konservator und Denkmaleigentümern, Inspektionsberichten, Aktenauszügen zur Bau- bzw. Instandsetzungsgeschichte, technischen Dokumentationen von Denkmälern, Karten von Preußen, Plänen von Städten und Friedhöfen, Fotografien von Denkmälern, Grafiken, Wappen und Siegeln ostpreußischer Städte.
Die Akten nach 1945, die den größten Teil der Bestände in Olsztyn ausmachen und weiter anwachsen, werden systematisch von Ämtern erworben, die der Archivaufsicht unterliegen. Dazu gehören die Akten des Amtes des Regierungsbevollmächtigten für den Bezirk Masuren in Olsztyn von 1945-1950, des Woiwodschaftsamtes in Olsztyn von 1946-1950, des Woiwodschaftsnationalrates in Olsztyn von 1945-1950, des Präsidiums des Woiwodschaftsnationalrates in Olsztyn von 1950-1973, des Woiwodschaftsamtes in Olsztyn von 1974-2001, der Kreis- und Bezirksämter, der Gemeindeverwaltungen, der Nationalräte auf Kreis-, Gemeinde- und Stadtebene. Aus den Fachverwaltungen wurden u. a. die Überlieferung des Staatlichen Repatriierungsamtes, Woiwodschaftsabteilung in Olsztyn, 1945-1951, des Woiwodschaftsamtes für Presse, Veröffentlichungen und Nachrichtenkontrolle in Olsztyn, 1950-1980, der Außenstelle der Obersten Kontrollkammer in Olsztyn, 1948-1995, sowie die Akten der Organisation „Służba Polsce“ [Dienst an Polen], Woiwodschaftsleitung in Olsztyn, 1948-1956, übernommen. Akademische und Bildungseinrichtungen sowie kulturelle Institutionen sind vertreten durch die Überlieferungen des Stefan-Jaracz-Theaters in Olsztyn von 1946-2005, des Masurischen Museums in Olsztyn von 1945-1991 sowie des „Masurischen Instituts“ in Olsztyn, das von 1945-1953 als Außenstelle des Westinstituts fungierte.
Zu erwähnen sind auch die Parteiakten, die einen eigenen Bestand bilden, beginnend mit dem Woiwodschaftskomitee der Polnischen Sozialistischen Partei in Olsztyn 1945-1948, dem Woiwodschaftskomitee der Polnischen Arbeiterpartei in Olsztyn 1945-1948, dem Woiwodschaftskomitee der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei in Olsztyn 1949-1990, über Kreis-, Stadt- und Gemeindekomitees, bis hin zu Betriebs- und Schul- und Wohngebietskomitees. Die aufbewahrten Unterlagen spiegeln das politische, sozioökonomische und kulturelle Leben der Woiwodschaft und Region Olsztyn nach 1945 umfassend wider.
Ergänzt werden die Aktenbestände durch eine kartografische Sammlung von 1664-2013, Plakate von 1960-1970, 2000-2010, Fotografien von 1891-2000, Flugblätter und Untergrundpublikationen von 1945-1950, 1966-1989 und Pläne der Parkanlage von Johann, Georg und Ernst Larass von 1862-1942.